Tagebüchlein des Johannes Strube

Im Nachlass meines Vaters fand sich auch das "Tagebüchlein" meines Ur-Urgroßvaters, Johannes Strube. Ich vermute, daß mein Großvater Julius Buck den Text mit der Schreibmaschine abgetippt hat. Zum einen erwähnt er das Tagebuch in seinen Memoiren, zum anderen sind z.B. die später angefügten Teile in der gleichen Type und auf dem selben Papier geschrieben. Die Blätter befinden sich im Besitz meiner Schwester Susanne, die mir dankenswerterweise Fotos von ihnen schickte.

Das "Tagebuch" deckt den Zeitraum von 1815 bis 1884 ab. Es verknüpft viele Ereignisse, die ich im Geschichtsunterricht gelernt habe, mit dem Schicksal meiner Familie: das Ende der Napoleonischen Kriege 1815, die darauf folgenden, durch den Ausbruch des Krakatau bedingten Mißernten, die Kartoffelfäule 1843, der Bau der thüringischen Eisenbahn 1847, die "Einigungskriege" von 1866 und 1870 ... abstrakte Geschichte bekommt persönlichen Bezug.

Johannes Strube --> Friedrich Strube --> Dora Strube --> Ulrich Buck --> Fionn Ruadh

Das Tagebüchlein von Johannes Strube

(geb. 13.02.1815 in Eisenach, gest. 22.1.1889 in Eisenach)

Die langen Winterabende nahmen allmählich wieder ab, und die Tage wurden um etwas wieder länger, und die Mittagssonne schmolz nach und nach den hoch aufgefallenen Schnee wieder zusammen. Ja, es hatte den Anschein, als ob es bald Frühjahr werden wollte. Aber schwarze dicke Wolken lagen noch zentnerschwer auf manchen Herzen, noch vom vergangenen Jahre her, die der strahlenden Sonne nicht weichen wollten.

Es war in einem kleinen Vorstädtchen E. (Fischbach), da saß ein Mann, er konnte beinah ein Vierziger sein, bei einer kleinen Öllampe, den Kopf auf die Hand gestützt, und rauchte nachdenkend eine kurze Holzpfeife. Ja ja, das verfluchte Franzosenvolk! Die haben uns nichts Gutes gebracht. Ja, der Krieg ist doch das größte Unglück auf der Welt. Sei doch ruhig, Peter, unterbrach ihn seine Frau, die beim Wollspinnrad saß und noch ein Knabe und zwei Mädchen, sei ruhig! Gott hilft, Gott hat bis hierher geholfen, er wird auch noch weiter helfen. Du sprichst gut, Christine. Fünf Kinder, und - - und nirgends kein Vorrat, alles verwüstet und aufgezehrt. Ich ahne nichts Gutes, wir bekommen eine teure Zeit. Die Mutter aber machte ihrem Herzen Luft und summte eine Melodie, die mochte wohl die sein: Befiehl du deine Wege und was dein Herze kränkt usw.

Ja, es war, wo ich in ein paar Tagen das Licht der Welt erblickte. Immer, wo in den verflossenen Jahren der französische Krieg seine Verwüstungen über Deutschland gebracht und die gewöhnlichen Folgen: Teurung, Hungersnot, Seuchen und Krankheiten, nicht ausgeblieben sind. Und so war es auch in unserer Familie. Drei von meinen Geschwistern starben, die ich leider nicht gekannt habe, und die anderen zwei mussten hungern und darben, weil meine Eltern das Nötige nicht erschwingen konnten. Denn es kosteten die Metze Korn einen Taler fünf gute Groschen, und die anderen Nahrungsmittel waren garnicht zu bezahlen.

Es hat mir meine Mutter vielmals erzählt, daß es ein Wunder Gottes gewesen wäre, mir das Leben zu erhalten, weil sie mir weder Muttermilch noch sonst was hätte reichen können. Und so hätte ???? den anderen Geschwistern mit Kohl und groben Nahrungsmitteln vorlieb nehmen müssen, sie wäre auch ganz gleichgültig gewesen, mich in Gottes Hand zu empfehlen. Ja, was Gott will erblicken, das kann die größte Not nicht ersticken. Und so wuchs ich in die Höhe, und die Jahre wurden besser, und es gab wieder billigere Zeiten. Und so kam es, daß ich der Mutter ihr Liebling wurde. Ich wurde etwas verzärtelt, indem daß der Vater sehr streng war.

Es kamen nun die Jahre der Schule, die ich im Anfang nicht gerne besuchte. Meine Mutter hat mich mehrfach hineinbringen müssen. Woher kam es aber? Weil damals sozusagen die Schule mehr eine Strafanstalt als eine Bildungsanstalt war. Man hörte von den Kindern nichts anderes reden, als von Prügeln, Plätzern und Handschmitz, und davor hatte ich einen schrecklichen Abscheu. Daraufhin ging meine Mutter zum Lehrer und sagte ihm, er möchte mich gelinder behandeln, sonst müsste sich mich noch gar vielemale in die Schule bringen. Der Lehrer versprachs und tats, und siehe, ich bekam Lust und Liebe zur Schule. Ich lernte fleißig, daß ich in ein paar Jahren einer der besten Schüler ward. Leider gab es in unserer Schule weiter nichts zu lernen als ein wenig Rechnen, Schreiben und Lesen, und die Hauptsache: Sprüche, Lieder und Gebete auswendig zu lernen. Das, ehe ein Kind einmal lesen konnte, zwei- bis dreimal durchgemacht. Denn mit dem Buchstabieren ging es sehr langsam, und wenn unter anderem ein Kind zeichnen oder sonst eine Geschichte aus einem anderen nützlichen Buche lernen wollte, die brauchten für Hiebe nicht zu sorgen.

Also zum elterlichen Hause zurück. Es war damals Sitte, daß in armen Familien Wolle für die Tuch- und Zeugmacher gesponnen wurde, um die langen Winterabende nicht unnütz (zu verbringen), und für den Haushalt. Wenn die Mutter und drei bis vier Kinder fleißig waren, wurden wöchentlich 8 bis 10 Groschen verdient, und so war es auch bei uns. Wir mussten alle spinnen, das Gesangbuch oder der Katechismus mussten wir neben uns legen und dabei lernen, jedoch hatte ich darin wieder einen Vorzug: wenn ich das Spinnen müde war, welches gewöhnlich nicht lange dauerte, da las ich aus der Bibel oder aus einem 100jährigen Predigerbuch, das wir damals hatten, etwas vor, was meine Eltern sehr liebten. Denn bei uns war Sitte, daß ehe meine Mutter zu Bette ging, da betete sie den Abendsegen und sang mit uns das Lied: Laß mich diese Nacht empfinden eine sanft und süße Ruh, alles Böse überwinden, decke mich mit Segen zu. Freunde, Feind und Hausgenossen sind in deinen Schatz geschlossen.

So vergingen nun Monate, Jahre nach einander hin, und es mussten nun andere Arbeiten gemacht werden, als was das Spinnen und die Schule anbetraf, wozu ich aber keine rechte Lust zeigte, denn das Schulwesen war mir lieber. Ja, ich wollte gerne eine höhere Schule besuchen und wollte Lehrer werden, wozu sich aber meine Eltern nicht verstanden, denn sie glaubten es nicht durchzusetzen. Auch der Vater sagte: Es muß nun was verdient werden, und so hatte ich nur den Beinamen davongetragen, daß mich meine Kameraden und die Nachbarn Struben seinen Kantor hießen.

Es half nun weiter nichts, ich musste gleich nach meiner Konfirmation in eine Ziegelei gehen und da arbeiten, wo ich von früh drei oder vier Uhr tagtäglich 3-400mal die Treppe hinauf- und herunterlaufen musste, für einen Lohn von 15 Groschen wöchentlich. Es wollte mir aber nicht lange behagen, saure Arbeit, wenig Lohn, das ging nicht lange an. Nach ein paar Jahren ging ich mit meinem Vater an die Feld- und Gartenarbeit, und dann später in eine Farbenfabrik bis zu meiner Heirat. Zu meinen Mußestunden liebte ich nur Gesang und Musik und war nur zu gerne, wo es vergnügt, jedoch anständig zuging. An anderen Vergnügen, wie z.B. karten und kegeln und dergl. mehr war für mich nie keine Unterhaltung. Auch an meiner Kleidung hatte ich immer vor meinen Kameraden den Vorzug, jedoch als es die Umstände erlaubten.

Ich war sparsam und hielt mein Weniges zusammen, und so war ich überall bei den Nachbarn und Gesellschaften beliebt, jedoch an Neidern fehlte es auch nicht. Was nun den Umgang mit den Mädchen anbetraf, da war ich überall willkommen, denn ich war immer auch der erste beim Tanze, und manche hatte mich wohl in ihr Herz geschlossen. Aber nur eine, und die eine hatte ich in meinem 20. Jahre kennengelernt, vor der ich Achtung hatte, und dann nach vier Jahren durch Zufall im Zusammentreffen mit ihr wirklichen Umgang führte, und noch zwei Jahre, sie war meine Frau. Ehestand – Wehestand. Das hatte ich schon aus manchem erfahrenen Munde gehört, doch wir waren beide glücklich, wenngleich bei einem geringeren Verdienst den ich damals hatte. Denn ich lernte die Wollkämmerei in einer Fabrik, so wurde doch noch was gespart, und wir schafften uns noch mancherlei im Haushalt an, denn es waren billigere Zeiten. Mit vielem hält man Haus, mit wenigem kommt man auch aus – ein altes Sprichwort. Im zweiten Jahr als den 26.Februar 1842 wurden wir durch die Geburt eines Sohnes erfreut, welcher unser Glück noch erhöhte. Er wurde Hermann genannt. Er war gesund und munter, er wuchs in die Höhe und ward unser aller Freude. Ja, doch keine Rose ohne Dornen. Es machten sich immer mehr Ausgaben nötig, es entstand i.J.1843 die Kartoffelkrankheit, es kamen mehrere Mißjahre, die Lebensmittel wurden teurer. Im Jahre 1844 den 12.November gebar meine Frau eine Tochter, Ottilie genannt, welche uns wieder viel Freude machte. Sie war gesund und wohl, jedoch nicht lange, sie wurde krank und wurde kränklicher Natur, und da der Arzt nicht viel aus dem Hause kam, da konnte ein Verdienst wohl nicht ausreichen. Ich arbeitete mit an der thüringischen Eisenbahn, die 1845 gebaut wurde, und die Nahrungsmittel wurden immer teurer. Aber unermüdlich ging ich an das Tagswerk, und oft sang ich im stillen mit dem frommen Dichter: Wer nur den lieben Gott läßt walten und hoffet auf ihn....

Es war im Jahr 1847, wo die Teuerung auf dem höchsten Gipfel stand. Es kostete die Metze Korn 1 Taler und 2-3 Groschen, jedoch: wenn die Not am größten ist Gottes Hilf am nächsten. Die Eisenbahnarbeiten wurden beendet und ich bekam eine Stelle als Gepäckträger. Ich hatte einen schönen Verdienst, auch die Preise der Nahrungsmittel fingen allmählich an zu sinken, je näher die Ernte herankam. Denn es war eine gute Aussicht und siehe, es kamen wieder billigere Zeiten, und wir konnten uns wieder erholen, und das Herz, von Kummer und Sorgen gedrückt, wurde wieder leichter, und wir konnten uns auch wieder etwas sparen, wenngleich der Haushalt mehr kostet, wenn die Kinder mehr und größer werden. Denn im Jahre 1849 den 9. April gebar mir meine Frau den zweiten Sohn, Wilhelm Friedrich genannt. Er war gesund und munter und bereitete uns wieder neue Freuden. Da nun die Familie immer größer wurde und die kleine Wohnung, die ich damals hatte, nicht genug Raum hatte, uns alle zu beherbergen und auch die Hausmiete immer teurer wurde, so kauften wir uns ein Haus, im Februar 1851, aber mit diesem wieder neuen Kummer und Sorgen, denn das Haus war alt und sehr baufällig. Ich bestellte mir nun zwei Sachverständige, was wohl nun hier zu tun sei. Nach einigem Achselzucken sagten sie – denn ich wollte es nur lassen ausbessern – es ist hier nicht viel zu machen, um den Einsturz zu verhüten, es würde abgerissen und von Grund auf neu gebaut. Ich sah es wohl ein, aber ein Schreck zuckte mir durch alle Glieder. Wovon aufbauen, da ich kein Geld mehr hatte, als was das Haus kostete? Jedoch: Frisch gewagt ist halb gewonnen. Es wurde abgerissen, in acht Tagen war es ein leerer Platz. Ich ging hierhin, ich ging dahin, überall hatte ich Kredit, und hier und da wurde mir Geld angeboten, und siehe, in sechs Monaten stand ein Haus wieder bewohnbar da. Aber Kummer und Sorgen machten mir das Haar grau, um es nun zu erhalten und nicht meinen Gläubigern zu überlassen, es kostete natürlich manche Entbehrungen. Aber nach Verlauf etlicher Jahre hatte ich es soweit, daß ich es konnte behalten. Ach, es hätten mich wohl manche in die Hände gekitzelt, wenn ich es nicht durchgesetzt hätte und hätte für andere ein Haus gebaut, aber auch manche haben sich herzlich gefreut, daß ich so ein Wagstück durchgesetzt habe. Freunde und Feinde hat der Mensch überall. Doch Gott hilft, Gott hat geholfen, und er wird auch weiter helfen.

Ach wie manche schweren Gewitterwolken haben sich über mich und mein Haus aufgetürmt, daß ich mit bangem Herzen glauben möchte, ein Blitzstrahl würde alles das Schöne und Liebliche, was ich im Sinne hatte auszuführen, zerschmettern. Doch die schwarzen Wolken flohen in Sturmeswehen auseinander, und die Sonne erstrahlte viel herrlicher wieder hervor. Ja ja, ich habe manche trübe böse Tage durchlebt, sei es im Familienverhältnis oder sei es ausserhalb des Hauses. Ach, wieviel Unrecht muß man nicht leiden, wenn man unter der Gebotmäßigkeit eines Tyrannen steht, das Herz möcht einem zerspringen. Wie manchmal habe ich krampfhaft die Fäuste geballt, doch hatte ich das Liebste im Auge – die Familie. Ja manchmal habe ich mir den schönen Vers in Gedanken gerufen: Wenn mich der Haß des Feindes betrübte, klagt ich Gott kindlich meinen Schmerz, er half mir, daß ich nicht Rache übte, und stärkte durch Geduld mein Herz. Ja Ja, nach dem Regen hat die Sonne wieder geschienen, und nach den tobenden Elementen hat die Sonne wieder glorreich an die Brust gestrahlt, und das Herz ist wieder fröhlich geworden.

Ich komme wieder zurück in das Familienwesen. Den 6. September 1851 gebar mir meine Frau wieder eine Tochter Anna Amalia genannt. Sie war gesund und ist ein kräftiges Mädchen geworden. Und dann im Jahre 1854 den 10.Dezember schenkte uns der Himmel noch ein Zwillingspaar Maria und Friederika, wovon uns der Tod die Maria entriß. Was nun die Erziehung meiner Kinder anbetrifft, muß ich noch erwähnen: ich war zwar unter der Strenge des Vaters und mit der Liebe der Mutter erzogen worden, auch ein altes Sprichwort sagt es: je lieber Kind, je schärfer die Rute, auch unser Vetter, bei dem ich früher wohnte, der aber das Glück, Kinder zu erziehen, nicht hatte, und dennoch liebte er die Kinder sehr, sie müssten aber Hiebe kriegen das war sein Grundsatz, aber inwiefern, ich war der Meinung nicht. Man hat doch sehr viele Tiere, die nur durch liebevolle Behandlung soweit zu bringen sind daß man sagen möchte, sie haben Menschenverstand, warum soll es dann nicht bei Kindern so sein, die doch Menschen und sozusagen das eigene Ich sind. Es gibt Menschen die ihre eigenen Haustiere bei jedem Wort verfluchen es wird gestossen, getreten und geschlagen, und wie sind die Tiere? Sie sind tückisch, sie schlagen, sie beißen sie sind mitunter sehr bösartig und fürchten sich nur vor dem Stock. Und so behandeln auch Menschen ihre Kinder, die doch das eigene Ich bin. Kinder sie sollen artig sein, sie sollen nicht viel springen, sie sollen nicht viel zerreissen, und dennoch bei jedem Schritt und Tritt geschimpft, gestoßen, geschlagen, und dadurch werden sie tückisch, es wird bei ihnen eine Gewohnheit. Ich bin von jeher der Ansicht gewesen, daß ein Elternpaar, die glücklich sind, Kinder zu haben, in Gegenwart der Kinder nicht zanken oder sonst unpassende Reden laut werden lassen, denn die Kinder, spricht man, fangen wie Zunder, und doch geht es in keinem Haushalt ohne Zwistigkeit nicht ab. Aber wie manche Eltern freuen sich, wenn die Kleinen die groben Reden, die sie alltäglich hören, ganz putzig rausbringen. Ach wie oft sieht man, daß den kleinen ein Stock oder sonst was in die Händchen gegeben wird, um damit ein nahestehendes zu schlagen, nur noch ein Jahr, sie schlagen noch Vater und Mutter, sie schimpfen sie fluchen und stampfen mit den Beinen und werfen alles, was sie in der Hand haben, auf den Boden. Dann wird gepatscht, geschimpft usw, aber besser werden sie vorderhand nicht. Kinder müssen belebt sein, über die Unart muß man sie vermahnen, jedoch mit keinen groben Reden. Es fruchtet mehr als die Rute, wovor sie sich nur fürchten, solange man sie in der Hand hat, denn das Schlagen und Zanken ist nur Gewohnheit geworden. Meine Kinder kennen wenig oder gar keine Schläge sie sind Gott sei Dank alle groß geworden und sind von jedermann geachtet und geliebt.

Schon als Kind und in meiner Jugend war ich nie gerne, wo es Zank und Streit gab; es tat mir weh, wenn ich sah, wie sie sich zankten und schlugen. Wie manchmal habe ich den Vermittler gemacht, da ist es wieder Ruhe und Friede geworden. Ich war und bin noch gerne, wo es heiter und zufrieden zugeht. Jedoch im Familienleben gibt es zu vielerlei Anfechtungen, daß mitunter Wortwechsel vorkommt, sei es von aussen, sei es von innen. Die Kinder in Nahrung und Kleidung kosten viel, auch sonst noch manches, was mehrere Taler hinwegnimmt, und die Klagen über das und jenes hören nicht auf. Da kann man wohl nicht immer gleichgültig sein, und manchmal wird einem da der Kopf warm, wenn man gleich keine Spirituosen getrunken hat, und doch darf man die Kindern nichts von alledem viel lassen merken. Ach wie herrlich, wie lieblich wäre es nicht, wenn ein Elternpaar eines Sinnes wäre und sich ihre Wünsche und Gedanken miteinander ausglichen, sie würden bei allen Anfechtungen sich doch glücklich fühlen. Ja, in jedem Herzen und in eines jeden Gedanken mögen die Worte rege werden: "Möchte doch eine Gotteshütte hier in unserm Hause sein! Liebe, komm in die Mitte, kehre bei uns Menschen ein! Laß den Frieden bei uns wohnen, immer eines Sinnes sein, wie wir hier beisammen wohnen, alle deiner, Herr, uns freun!"

Nun ist es auch der Eltern Pflicht und Schuldigkeit, nicht allein daß man gute Kinder erzieht, sondern daß sie auch, soviel als in ihren Kräften steht, was Ordentliches und Tüchtiges lernen, und das war nun meine erste Aufgabe. Erstens war es die Schule, wo ich ein paar Taler nicht scheute, und schickte meine Kinder in die erste Bürgerschule, und wie glücklich war ich, daß mein ältester Sohn Hermann Lust hatte, bei der Schule zu bleiben und Lehrer zu werden. Wohl hat er mir manche Kopfschmerzen gemacht, jedoch es war einmal sein Wille und mein Wunsch. Er besuchte das Seminar und wurde Lehrer im 21.Jahr in Brunnhardtshausen. Mein zweiter Sohn Friedrich, dem ich es an Schule und Unterricht nicht fehlen ließ, hatte ebenfalls Neigung zum Lehrerstande, wozu ich aber keine rechte Lust hatte. Denn ich hatte erfahren was die Burschen kosten, und die Mädchen mochte ich auch nicht zurücksetzen. Aber was wollte ich machen? Es war nun einmal sein Wille, und mit Gottes Hilfe hat er nun sein Studium vollendet.

Auch an den Mädchen habe ich es nicht fehlen lassen, sowohl in der Schule, als auch in der weiblichen Ausbildung. Sie sind gut und brav und sind soweit, daß sie sich unter allen Umständen forthelfen können.

Nun, meine lieben Kinder, dieses habe ich für euch zur Erinnerung geschrieben. Ihr seid nun alle in dem Alter, daß ihr es verstehen könnt, nehmt es euch zur Richtschnur und liebet euch untereinander Bis hierher habe ich das Meine getan, ich habe euch geliebt und werde es auch noch weiter tun, solange ich noch wirken kann. Und so gebe ich mich der frohen Hoffnung hin daß, wenn ich einmal nicht mehr wirken kann, daß ihr auch mich, daß ihr auch uns, eure Eltern, als wahrhaft gute Kinder liebet und ehret. So werde ich mit Simon (Simeon), wenn mein letztes Stündlein kommt, sprechen: Herr, nun lässest du deinen Diener in Frieden fahren, denn meine Augen haben deinen Heiland gesehen.

Gott hilft
Gott hat geholfen
Gott wird noch weiter helfen.

J. St.

Nachgetragen.

Friedrich bekam den 1. Juni 1870 den Ruf als Lehrer nach Allstedt und den 7. Juni dahin abreiste. Mag ihn nun Gottes allschützende Hand beschirmen, daß er als tüchtiger Lehrer sein Amt treu und redlich führe und verwalte. Lehrerstand ist Ehrenstand das ist wohl aller Welt bekannt.

Ottilie verlobte sich im Monat Mai 1870 mit einem Briefträger August Germer aus Ziegenhain und feierte den 26. Juni 1870 ihre Hochzeit und reiste den 28. Juni nach Lobeda, wo er als Landpostbote angestellt ist.

Sinngedicht, gewidmet am Hochzeitstage:

Ich, der Vater der Braut,
Hab oft still ins Herzle hineingeschaut,
Darum will ich auch jetzt ein Wörtchen sprechen.
Es sind keine Rosen, die da blühn, und sind keine Dornen,
die da stechen.
Nein, es war ein Blümchen, ganz unbemerkt unterm Gras
Und Busch versteckt,
Vielleicht gar bald zertreten. Doch nein, es soll ein
Bäumchen werden,
Eine Eiche, die weit und breit verbreitet ihre Zweige,
Und alle, die die Eiche achten und ehren,
Die sollen ihr Glas bis auf die Neige leeren,
Und alle, die sich auf den Hochzeitstag vereinen
Und es im Herzen treu und redlich meinen,
Sei es bei Tag oder sei es bei der Nacht,
Denen sei dreimal Hoch gebracht!
J.St.

Der Krieg 1866 zwischen Preußen und Österreich war nun vorüber, wo ich an Verlust des Einkommens mehrere Jahre wieder sparen musste um unsere Verhältnisse wieder ins Gleichgewicht zu bringen, indes ich auch zehn Wochen krank war und auch viele unberechnete Kosten verursachte. Da entspann sich wieder der Krieg zwischen Frankreich und Deutschland, wo auf einmal aller Verkehr stockte und unser Verdienst schrecklich geschmälert wurde. Nun sollen wir auch wieder die Schrecknisse erleben, die meine Eltern erlebt hatten und ich als Kind die Folgen mit ertragen musste. Doch nein, auch diesmal hat Gott seine allschützende Hand über Deutschland gehalten, und die Deutschen haben gesiegt, wenn es auch viele Opfer gekostet. Doch die wilden Horden, deren viele nach Deutschland gekommen, aber ohne Waffen, waren gefangen. Ja ja, wieviele Jünglinge und Männer haben ihren Tod auf dem Schlachtfeld auf eine schreckliche Art gefunden, ja nach vielen Jahren wird noch mancher Vater, ja noch mancher Sohn beweint werden, die ihre Eltern, die ihr Weib, ihre Kinder nicht wieder zu sehen bekommen haben. Auch mein Sohn Friedrich, der kaum ein halbes Jahr Lehrer in Allstedt war, musste Soldat werden und mit gegen Frankreich ziehen, doch zu einer Zeit, wo keine große Gefahr mehr vorhanden war. Es war, wo der Friede verhandelt wurde, und er ist nach einem halben Jahr wohlbehalten wieder in seine Heimat zurückgekehrt und hat seine Stelle als Lehrer in Allstedt wieder eingenommen. Nun war der Friede geschlossen, und tausend Herzen harrten mit Sehnsucht auf ihre Angehörigen, bis endlich der Tag des Wiedersehens herannahte. Aller Freude war groß, alle Straßen und alle Häuser waren mit Flaggen und Kränzen geschmückt, Triumphbogen und Ehrenpforten waren errichtet, und Tausende von Menschen durchwogten die Straßen, und siehe, es wurde ein Fest drei Tage lang.

So wollen wir nun, wenn Gott will, den lieben Frieden noch lange Jahre genießen.

Es war der 24.Juni 1847, wo der erste Eisenbahnzug nach Eisenach gefahren kam, so sind es heute den 24.Juni 1872 25 Jahre. Ja heut vor 25 Jahren, wo zum ersten Male das feurige Roß kam hierher gefahren, viel tausend Menschen groß und klein, aus Neugier wollten sie alle die ersten sein, doch erschrocken waren sie alle schier, als sie sahen das große Wundertier, und jetzt ist ihnen allen gleich, sie mögen arm sein oder reich, sie stimmen alle überein: auf der Eisenbahn muß gefahren sein. Auch viele Männer auf der Welt, sie wurden alle angestellt, sie freuten sich all ob ihrem Amt, was mancher wieder hat verdammt. Und ich, ich muß zu den Wagen für Reisende das Gepäck hintragen. Ein Trinkgeld gab wohl jedermann, wars groß oder klein, jedoch ich konnt damit zufrieden sein. Und nun sind 25 Jahr verflossen, wo ich stets immer unverdrossen gearbeit habe Tag und Nacht. Was hab ich nicht in 25 Jahren viel tausend Zentner getragen, gehoben und gefahren! Und was wird nun zuletzt mein Lohn? Nein, mit Stock und Hut geh ich doch nicht davon. Ich möchte so gern den letzten sehn, dann wollen wir zusammen gehn.

Den 11.November 1872 hat mein Sohn Friedrich seine Braut Amalia Stier aus Allstedt heimgeführt.

So möchte ich auch etwas erzählen,
ich glaube, an Beifall wird es mir wohl nicht fehlen.
Es ist ja nichts Absonderlichs,
doch wenn ich dran denk, so freu ich mich.
Es war noch in den vierziger Jahren,
wo mein Sohn Wilhelm Friedrich ward geboren.
Es war kein Prinz vom Königsthron,
nein, es war nur ein schlichter Bürgerssohn.
Doch sollt es auch auf dieser Erden
Was Tüchtiges aus Ihnen werden.
Da fällt mir der Gedanke ein:
Das gibt wohl ein Schulmeisterlein.
So tat er mir auch den Gefallen
und liebte die Schule nur vor allen,
bis man hört von allen Orten:
es ist nun ein Schulmeister geworden.
Da strebt er auch noch nach edleren Sachen,
die Liebe soll ihn glücklich machen.
Er ließ auch garnicht ab davon,
bis er bekommen seine Kron.
So wollen wir mit Freuden singen:
Mit Gott wird alles wohlgelingen.
Darauf lasset nun alle Gläser klingen. Hoch!
Gewidmet zu Friedrichs Hochzeitsfeste.

Anna starb den 15.Juli 1874 in ihrem 23. Lebensjahr und wurde beerdigt Freitag den 17. Ihre letzte Stimme: Lasst mich schön beerdigt ... Den 29.Mai wurde unser seliger Anna ihr Stein fertig.

Den 27.März 1874 ist die Schwiegermutter in Brunnhardtshausen gestorben. Onkel Karl Beck starb den 29.Juni 1883 abends 7 Uhr.

Nach einer halbjährlichen Krankheit starb meine liebe Frau, den 24.Januar 1884 10 Uhr morgens, Sonnabend den 26. wurde sie mit großer Teilnahme beerdigt.

J. St.